Prof. Steyer und ich haben kausalstatistische Auswertungen am 5. Mai 2020 dem Robert-Koch-Institut ageboten. Das Angebot wird vom Robert-Koch-Institut geprüft, aber wegen ihrer erheblichen Arbeitsbelastung derzeit nicht verfolgt.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich schreibe Ihnen, weil ich glaube, dass Prof. Rolf Steyer und ich Sie unterstützen können, Beobachtungsdaten zu COVID-19 mit statistischen Methoden der kausalen Inferenzstatistik auszuwerten. Wir haben u.a. zu kausaler Inferenzstatistik bei logistischer Regression an der FSU Jena universitär geforscht und gelehrt, und ich entwickle derzeit Software auf Basis meiner psychometrischen Forschung.

Das RKI hat als nationales Public Health Institute u.a. die Aufgabe, die Exzessmortalität zu berechnen. Prof. Steyer und ich sind der Überzeugung, dass die kausale Inferenzstatistik wertvolle statistische Schätzungen zu folgenden dringlichen Fragen beitragen kann, anhand von Beobachtungsdaten, solange randomisierte Studien fehlen:

  • Welche medizinischen Maßnahmen begünstigen/verschlechtern die Heilungsaussichten von schwer an Covid-19 Erkrankten (im Sinne der auf Kovariaten bedingten Effekte der medizinischen Intervention auf die Genesung)?
  • Wie hoch ist die zu erwartende Erhöhung der Sterbewahrscheinlichkeit durch SARS-Cov2-Infektion gegeben Kovariaten wie Alter und Vorerkrankungen (im Sinne eines Kovariaten-bedingten Effekts der Infektion auf die Sterblichkeit).
  • Die zu erwartende Erhöhung der Sterbewahrscheinlichkeit durch SARS-Cov2-Infektion in der Population könnte aus diesen bedingten Effekten und anhand der Verteilung der Kovariaten in der Population abgeschätzt werden. Laut Aussagen auf der Pressekonferenz vom 28. April 2020 liegen dem Robert-Koch-Institut für etwa 80% der Covid-19 Erkrankten Patientendaten vor. Voraussetzung für unsere Arbeit wäre es, dass Sie uns derartige Patientendaten anonymisiert zur Verfügung stellen. Gerne würden wir für Datenaustausch und methodische Diskussion auch dem Forschungsnetzwerk Corona beitreten.

Repräsentative und randomisierte Studien wären wünschenswert, doch besteht die Pflicht, das zweitbestmögliche zu tun, solange sie nicht möglich sind. Während unserer Diskussionen schien ein erster statistischer Analyse-Entwurf mangels öffentlich zugänglicher Daten derzeit nicht aussichtsreich. (Eine unverfälschte Schätzung kausaler Effekte ist möglich, wenn all jene Kovariaten erfasst werden, die Genesungs-/Sterbewahrscheinlichkeit einer Person mit beeinflussen.)

Daraus entwickelte sich auch die Idee einer praktikablen Möglichkeit, zeitnah gemeinsam mit der Ärzteschaft und den Erkrankten mit der Erfassung notwendiger Daten zu beginnen: mit einer freiwilligen dezentralen Sammlung anonymer Erkrankungs-Datenspenden, um offene und transparente internationale Erforschung zu erleichtern.

In der letzten Woche habe ich dazu eine quelloffene Internetseite entworfen, welche Vorhaben und vorläufige Modellüberlegungen darstellt: https://gkappler.github.io/CausalCovid-19/. Diese Seite stellt eine allgemeinverständliche Diskussionsgrundlage dar. Den funktionalen Prototypen finden Sie ebenfalls auf der Website. Diese Seite ist bisher nur einem eingeschränkten Personenkreis mit der Bitte um Feedback und und zur Mitwirkung bekannt gemacht, darunter der Chaos Computer Club und das Netzwerk evidenzbasierte Medizin e.V.

Wie Sie bin ich überzeugt, dass Maßnahmen auf medizinischer, organisatorischer und gesellschaftlicher Ebene evidenzbasiert zu treffen sind. Dazu können derzeit medizinische Beobachtungen systematisch erfasst werden, um einen statistischen Überblick zu gewinnen, der aussichtsreiche randomisierte Studien informiert. Optimalerweise wäre diese Erfassung international organisiert.

Ich möchte gerne beitragen, eine solche praktikable Daten-Erfassung zu gestalten und Analysemodelle zu diskutieren. Hoffentlich ergreifen Sie die Initiative auf der Basis Ihrer medizinischen Kenntnisse, Ihren Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem und Ihrem Netzwerk praktischer Ärzte. Gerne biete ich an, meine Vorarbeit in eine solche Initiative einzubringen und die Datenerfassung und Analyse zu beraten.

Ich hoffe, unsere Vorschläge und Analysetechniken sind konkret hilfreich, um diese Katastrophe besser zu beobachten und ihre negativen Effekte zu minimieren.

Mit besten kollegialen Grüßen,

Dr. Gregor Kappler

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